Eine Woche habe ich nun hier verbracht und wenn die deutsche Frauenfußball-Nationalmannschaft ihren bisherigen Siegeszug bei der EM wie erwartet fortführt, folgen noch knapp zwei weitere.
Der erste Eindruck war nicht gleich der allerbeste. Die Hotelbar schloss am ersten Abend bereits um neun Uhr und auch zehn durstige Teutonen konnten das Servicepersonal nicht zu einer spontanen Verlängerung ermuntern. Was der Finne offensichtlich liebt, ist das Brotbüffet. Als Beilage gibt es oft nichts anderes als Knoblauch. Viel Knoblauch. Etwas gewöhnungsbedürftig waren auch die lediglich halbvollen Biergläser, die gereicht wurden. Nicht viel besser erging es uns in einem Restaurant in der Innenstadt einen Abend später. Nachdem unsere Bestellung bereits aufgenommen worden war, trafen ein paar Kollegen etwas verspätet ein, um dann vom Kellner zu erfahren, dass der Grill schon geputzt sei und sie deshalb woanders ihre leeren Mägen füllen müssten. Da auch unser Essen erst zehn Minuten später serviert wurde, konnte man sich schon fragen, wie die Steaks so lange warmgehalten wurden.
Obwohl man also schon den Eindruck gewonnen haben konnte, dass in dieser Stadt, die fast vollständig aus umgebauten ehemaligen Fabriken zu bestehen scheint, die Bürgersteine relativ frühzeitig hochgeklappt werden, wagten wir den Sprung in Tamperes Nachtleben. Die mit fünf Uhr relativ späte Schließungszeit der ortsansässigen McDonald’s-Filiale deutete zumindest an, dass irgendwo noch der Elch steppen musste. Und tatsächlich: Nach einer relativ langen Überbrückungszeit zwischen Schließung der Restaurants und Öffnung der Nachtclubs erfuhren wir hautnah, wie der Finne seine Montagabende verbringt. Und zwar in einem Liveclub namens Henry’s Pub, der wie auf Knopfdruck um ein Uhr nachts gerappelt voll ist. Die Band spielte zwischen kräftigen Schlücken aus ihren Whiskygläsern alte Rockklassiker und versprach für später in der Nacht eine Jamsession mit Beteiligung des Publikums. Wie ein Kollege dann am eigenen Leib erfuhr, heißt das übrigens nicht, dass man sich einfach ungefragt in einer Pause auf der Bühne eine 6000 Euro teure Gitarre um den Hals hängen darf.
Die Finnin an sich stürzt sich ins Nachtleben dabei in der mitteleuropäischen Mode der frühen 90er-Jahre. Die Leggings feiern hier ein weltweit bisher zu Recht wenig beachtetes Comeback. Und die hübsche Finnin sucht sich nicht wie ihre deutsche Verwandte nur eine optisch weniger ansprechende Person gleichen Geschlechts, um auf der Jagd nach Männern ihr Selbstbewusstsein aufzubessern, sondern derer gleich zwei oder drei.
An die Tatsache, dass hier ein Taxifahrer schon acht Euro verdient hat, bevor er einen Meter gefahren ist, gewöhnt man sich wohl oder übel relativ schnell. Auch darüber, dass man von der Sprache, die aus fast nur Vokalen zu bestehen scheint, bis auf ein paar Fremdwörter so rein gar nichts versteht, kann man getrost hinwegsehen, da man zumindest mit Englisch überall gut über die Runden kommt. Und dass einige der Einheimischen, die man in der Innenstadt trifft, auch schon zu früher Stunde sehr offensichtlich etwas zu tief ins Glas geschaut haben, kann in einem Land, das einen Matti Nykänen hervorgebracht hat, kaum verwundern.
Was hingegen immer noch erstaunen lässt, ist die hiesige Männermode. Jeder zweite Finne könnte – etwas zurechtgemacht – allein von der Optik auch bei den Schockrockern Lordi mitwirken. Lange Haare, vielfach mit Zopf ein wenig gezähmt, und Bart gehören hier einfach zum guten Ton. Auch bei einem äußerst schrägen Improvisationstheater in einer Bar, in der wir durch puren Zufall gelandet sind, präsentierten sich die männlichen Laiendarsteller nicht anders. Der gut gefüllte Saal tobte alle paar Sekunden und begutachtete uns Fremdlinge, die so gar nichts damit anfangen konnten, mit einigem Argwohn.
Was zu Finnland gehört wie die Mücken (die ihren Blutdurst allerdings zum Glück schon Anfang Juli gestillt haben) ist natürlich die Sauna. Früher wurden dort angeblich Kinder geboren, Tote aufgebahrt, Fleisch gepökelt und Wurst geräuchert. Heute schwitzt der Finne dort nach Geschlechtern getrennt und vor allem ohne Handtuch. Ein kleines Stück Plastikfolie zum Abreißen von der Rolle, das man zwischen Haut und Holz legt, sorgt dabei zumindest für ein Minimum an Hygiene. Der kalte Eimer zum Abkühlen hingegen scheint eine deutsche Erfindung zu sein.
Keine deutsche Erfindung, aber offensichtlich eine Erfindung für die Deutschen, ist die Frauen-EM, die seit 16 Jahren keinen anderen Sieger mehr gesehen hat. In Kürze geht die Reise für die erfolgsverwöhnte Truppe von Silvia Neid und damit auch für mich weiter in die finnische Wintersporthochburg Lahti, wo das Viertelfinale gespielt wird. Ob der Weg dann am Ende noch in die Hauptstadt Helsinki führt, wird sich zeigen. Der Finne allerdings hat auch darauf eine Antwort: „Aamu on iltaa viisaampi.“ – Der Morgen ist klüger als der Abend.